Gemeinschaft schafft Energie – Energie schafft Gemeinschaft

Wie ermutigen wir alle Bürger:innen dazu sich in Energiewende Experimenten zu engagieren? Dieser Frage wurde im Realexperiment „Dein BalkonNetz – Energie schafft Gemeinschaft“ im Reallabor „Quartier-Zukunft“ nachgegangen und direkt praktisch ausprobiert. Die Ergebnisse haben wir in dem Artikel „Diversifying power in action: A socio-psychological approach to inclusive energy transition experiments“ (Diversifizierung der Macht in Aktion: Ein sozialpsychologischer Ansatz für inklusive Energiewende-Experimente) in dem Wissenschaftsmagazin „Energy Research and Social Science“ (ERSS) vorgestellt. Anlässlich der Veröffentlichung möchten wir hier einen kleinen Überblick über unsere transdisziplinäre und transformative Forschung geben – einmal in visueller Form und vertieft in Textform im Anschluss.

Grafik Energietransformationsexperimente 01
Grafik Energietransformationsexperimente 02

Als heterogenes, interdisziplinäres Forschungsteam im langjährigen Reallabor „Quartier Zukunft“ am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) begaben wir uns auf die Reise mit dem Ziel 22 Solar-Balkon-Module[1] an 22 unterschiedliche Personen mit einem möglichst hohen Frauenanteil und einer guten Mischung aus Nicht-Akademiker*innen und Akademiker*innen, welche sowohl in Eigentum als auch zur Miete wohnen, zu vergeben – also an all die Bürger*innengruppen, die aktuell noch weniger an der Energiewende beteiligt sind. Im ersten Experimentjahr sollte die Gruppe Balkonmodule gemeinsam ausprobieren und sich eine gemeinsame Gruppenidentität aufbauen – mit dem Ziel sich gegenseitig zu unterstützen, voneinander zu lernen und weitere gemeinsame Ziele zu entwickeln. Um dafür ein ideales Aktion Research Design zu konzipieren, führten wir einerseits Gespräche mit Expert*innen zu Barrieren und Treibern für Partizipation in der Energiewende mit dem Hintergrund von Identifikation und Identitätsbildung. Das neu gewonnene Wissen kombinierten wir mit dem theoretischen Framework des „Common Ingroup Identity Model“ (CIIM). Das CIIM möchte einen inklusiven Raum für alle schaffen, ohne dabei die einzelnen Identitäten aufzulösen, vielmehr sollen bestehende Motivationen bestärkt werden.

Somit starten wir bereits in der Rekrutierungsphase mit einem nicht-technischen Narrativ, welches möglichst viele Menschen mit unterschiedlichen Interessen abholen soll. Zur Bewerbung wurden verschiedene Kommunikationskanäle, von Nachhaltigkeitsgruppen bis hin zu Zeitungsartikeln, genutzt. Insbesondere über bestehende Nachhaltigkeitsnetzwerke konnten wir bereits aktive Frauen erreichen und ansprechen. Auf den Informationsveranstaltungen, an denen mehr als 220 Personen im Frühjahr 2021 teilnahmen, zeigten wir diverse Teilnahmegründe auf und stellten Umwelt und soziale Aspekte von PV in den Vordergrund, wie der Titel des Projekts „Dein BalkonNetz. Energie schafft Gemeinschaft“ zeigt. Mittels einer Kurz-Umfrage über Wortwolken zeichneten sich bereits hier vielfältige Interessenslagen der 220 Personen heraus: die Hauptmotivationsgründe am Projekt teilnehmen zu wollen, waren Nachhaltigkeit und Klimaschutz, gefolgt von finanziellen Einsparungen und Autarkiebestrebungen. Nach den Informationsveranstaltungen konnten sich Bewerber*innen über einen Online-Fragebogen bewerben, in dem sie u.a. Angaben zu unseren Schlüsselkriterien Geschlecht und Schulabschluss ausfüllen sollten. Im Auswahlprozess wurden die bereits genannten unterrepräsentierten Gruppen sowie ein ausgewogenes Verhältnis von Eigentümer*innen und Mieter*innen ausgewählt. Daraus ergab sich eine Gruppe von 22 Personen mit einem Anteil von 16 Frauen und 6 Männern, in einem Altersspektrum von 25 bis Ende 60. 55 % waren mit einem akademischen Abschluss und 45 % mit niedrigerem Abschluss vertreten; 13 Personen wohnen zur Miete und die restlichen 9 konnten ihr Balkonmodul im Eigenheim anbringen.

Während der einjährigen Kernexperiment-Phase sollte die gemeinsame Gruppenbildung in den Forschungsvordergrund rücken. Dazu fanden fünf Gruppenworkshops statt, bei denen sich die Teilnehmenden kennenlernten, in kleinen Gruppen arbeiteten und bei denen viele interaktive Formate und Austauschmöglichkeiten über persönliche Erfahrungen zur Gruppenbildung genutzt wurden. Beim vierten Workshop wurden auf besonderen Wunsch der Teilnehmenden hin bereits Ideen für eine Weiterführung des Projekts gesammelt. Zwischen den Workshops wurden sie mit einem Online-Forum begleitet. In einer quantitativen Umfrage bestätigten die Teilnehmenden, ein hohes Gruppenzusammengehörigkeitsgefühl trotz sehr unterschiedlichen Identitäten, was das nachfolgende Zitat einer teilnehmenden Person untermauert: „Das Projekt hat mir vor allem gezeigt, wie wichtig es ist, verschiedene Personengruppen und vor allem Menschen mit weniger Hintergrundwissen in den Prozess einzubeziehen.“ Solar-Balkonmodule für ein Jahr ausprobieren und sich gegenseitig zu unterstützen wurde schnell ein gemeinsames Ziel der Gruppe und führte sie trotz unterschiedlicher Motive zusammen. Außerdem konnten wir einen Rollenwandel der Teilnehmenden beobachten, im Zusammenhang mit der Gruppenidentität fühlten sie sich dazu bestärkt sich in der Energiewende zu engagieren und etwas verändern zu können. Allerdings können wir nicht beurteilen, wie stark, anhaltend und beeinflussend die Gruppenidentität ist und somit über die Projektlaufzeit hinauswirkt.

Das Forschungsprojekt zielte nicht darauf ab Menschen zu verändern, sondern einen integrativen Raum zu schaffen, in dem Bürger*innen mit unterschiedlichem Hintergrund und verschiedenster Identität die strukturellen Voraussetzungen vorfinden, die sie dabei unterstützen, eine aktive Rolle bei der Energiewende zu übernehmen. Auch wenn das Forschungsdesign explorativ war, die Experimentierteilnehmer*innenzahl mit 22 Personen recht klein ist, das Realexperiment sich auf den räumlichen Kontext einer deutschen Stadt bezieht, schlagen wir vor das identitätssensible Design für Transformationsexperimente weiter zu vertiefen.

Das Bild eine*r Teilnehmer*in, dass sie uns kürzlich von Ihrem Mietshaus gesandt hat, zeigt schon jetzt im Vergleich vom Projektstart bis heute: PV ist ansteckend!

Mietshaus mit mehreren Solar-Modulen

[1] Solar-Balkonmodule sind Photovoltaik Module, die direkt in die Haussteckdose gesteckt werden können woraufhin der erzeugte Strom in den Haushalt fließt, „Plug and Play“ sozusagen. Mehr Infos hier können dem Erklärvideo entnommen werden.


Weiterlesen/-hören?

Für Wissenschaftsinteressierte: https://doi.org/10.1016/j.erss.2023.103070 . Bis zum 12. Juni 2023 ist der Artikel noch  (ohne Registrierung) FREI verfügbar unter: https://authors.elsevier.com/a/1gzck7tZ6Z-F3P

Für Praktiker:innen:  https://www.dialog-energie.de/formate/realexperimente/dein-balkonnetz/

Für Hörer:innen: https://open.spotify.com/episode/1pQ8WDQ6NlmB9h7jBxaG29?si=bd982bcb486d4344  und https://open.spotify.com/episode/1GeDCw4LzHpdCdZMgzXftF?si=2bd3970638a348a4

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