Biodiversität in der Energiewende

„Schlechter Klimaschutz zerstört Artenvielfalt“ meldeten die Medien im Juni. Die Forscherin Dr. Julia Wiehe aus Hannover kennt den Konflikt aus Energiewendeprojekten. Am 20. Juli ist sie zu Gast in unserer Vortragsreihe.

Klimapolitik und Artenschutz werden nicht ausreichend zusammengedacht. Das kritisieren der Weltklimarat IPCC und der Weltrat für Biologische Vielfalt IPBES in einem gemeinsamen Bericht, der im Juni 2021 für Schlagzeilen sorgte. Darin fordern die zwischenstaatlichen Expertengremien, kohlenstoff- und artenreiche Ökosysteme stärker zu schützen und Naturschutzgebiete weltweit drastisch auszuweiten. Die Wissenschaftler:innen warnen weiter vor den negativen ökologischen und sozialen Nebeneffekten von technologiebasierten und scheinbar effizienten Klimaschutzlösungen. Erneuerbare Energieträger benötigen zum Beispiel keine fossilen Brennstoffe, dafür aber seltene Erden, die oft in Entwicklungs- und Schwellenländern abgebaut werden. Windparks können den Artenschutz beeinträchtigen, etwa indem sie Barrieren für Vögel und Fledermäuse darstellen. Mit-Autor des Reports und Biodiversitätsexperte Prof. Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) betont daher: „Wenn die internationale Gemeinschaft ihre Klima-, Naturschutz- und Entwicklungsziele erreichen möchte, wird sie nicht umhinkommen, die Belange des Klimas, der Natur und die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung im Dreiklang zu denken.“

„Ohne das landet die Anlage nicht in der Landschaft“

Das deckt sich mit unserem Ziel einer sozial-ökologischen Energiewende und auch mit den Erfahrungen der Umweltplanerin Julia Wiehe, die am Institut für Umweltplanung der Leibniz Universität Hannover zur Energiewende forscht und beiträgt. In ihren Projekten identifiziert sie Potenzialflächen für den naturverträglichen Ausbau erneuerbarer Energien und arbeitet dabei eng mit Ingenieur:innen und kommunalen Behörden zusammen. Im Experteninterview berichtete sie uns, dass die Sorge um Artenvielfalt insbesondere bei der Windkraft den Ausbau in Deutschland dämpft. Um Biodiversität und Klimaschutz in Einklang zu bringen, arbeite der Naturschutz mit Abschaltvorgaben. Windräder müssen dann während der Brut-, Aufzucht- und Erntezeit abgeschaltet werden, um Vögel auf Nahrungssuche zu schützen. Das sei aber aus Betreibersicht nur „sehr schwierig umsetzbar, denn die brauchen immer eine verlässliche Info der Landwirte, was die gerade auf ihren Flächen machen.“

Vogelschutz mittels Abschaltvorgaben
mindert die Leistung von Windkraftanlagen. Foto: Frank Schwichtenberg, GFDL

In der Technologie-Entwicklung sieht Julia Wiehe ebenfalls innovative Ansätze. „Es gibt zum Beispiel Ideen, die Rotorblätter schwarz einzufärben“, weil sie dann für Vögel besser erkennbar sind. Allerdings fallen schwarze Windräder auch uns mehr auf. „Da hätte man dann möglicherweise den Konflikt, Landschaftsbild gegen Ökologie auszutragen.“ Windanlagenbetreiber:innen seien daher inzwischen sehr darauf bedacht, die Bevölkerung in ihre Planung einzubeziehen, und auch Ingenieur:innen sei bewusst, dass es Sinn macht, sich frühzeitig mit den Umweltauswirkungen neuer Technologien zu beschäftigen. „Denn ohne das landet die Anlage nicht in der Landschaft.“

Solartechnik ökologisch und sozial kompatibel gestalten

Photovoltaik-Anlagen (PV) scheinen dagegen weit weniger kontrovers. Zwar befürchten Naturschützer:innen, dass Insekten spiegelnde PV Module mit Wasserflächen verwechseln und anziehen. Die Forscher:innen der Uni Hannover haben dazu aber noch keine Anhaltspunkte in Studien gefunden. „Solartechnik bietet tatsächlich so viel mehr Variationen, dass man sie aus unserer Sicht integrieren kann“, erklärt Julia Wiehe, „nicht nur ökologisch, sondern auch vom Landschaftsbild her.“ PV Module sind mittlerweile nicht einmal mehr zwangsläufig schwarz oder blau, sondern werden auch in weiß und grün getestet . Sie sind auch gut kombinierbar mit anderen nachhaltigkeitsorientierten Maßnahmen. Teils ergeben sich sogar Symbiosen. Mit Dachbegrünung, erklärt Wiehe, könne man auf dem Haus nicht nur Bienen anlocken, sondern auch PV Module kühlen.„Rein technisch würde es schon Sinn machen, auch in Deutschland die Sonne zu nutzen“. Die Bundesregierung und die Länder fördern entsprechende Projekte.

Photovoltaik – ein rundum-glücklich Paket?

Trotzdem werden auch bei Solarenergie Akzeptanzfragen bereits mitgedacht. Es sei nicht ausgeschlossen, dass das Konfliktpotenzial mit der Zahl der großflächigen Solarparks steigt, so Wiehe. Der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne)  habe daher vorausschauend eine Checkliste „Gute Planung“ entwickelt, die laut BNE sicherstellen soll, „dass PV-Freiflächenanlagen einen positiven Beitrag zu Klimaschutz, Biodiversität, Natur- und Umweltschutz sowie der ländlichen Entwicklung leisten.“

Eine win-win-Situation: PV-Module beschatten Pflanzen, Dachbegrünung kühlt PV-Anlage. Foto: Georg Slickers, GFDL

Wie es sich mit PV-Modulen vor dem Haus oder Fenster leben lässt ist auch eine Frage, die wir mit Seeds for SEETs im Projekt Dein BalkonNetz – Energie schafft Gemeinschaft experimentell untersuchen. Verändert eine Mini-PV-Anlage auf dem eigenen Balkon die Einstellung unserer Projektteilnehmer:innen zu PV im großen Stil? Werden Hummeln und PV unbeschadet koexistieren? Während uns diese Fragen durch das Projekt begleiten, findet Julia Wiehe die Balkonanlagen schonmal einen „super Beitrag“ zur Energiewende. „Als Mieterin habe ich ja sonst gar keine Chance, mich zu beteiligen.“

Wir freuen uns, Julia Wiehe am 20. Juli um 15 Uhr in unserer online-Veranstaltungsreihe „Beyond Technology“ begrüßen zu dürfen und unsere Unterhaltung öffentlich weiterzuführen. Der Titel ihrer Präsentation lautet: „Ökologische Herausforderungen und Naturverträglichkeit: Wie kann das zusammen gehen?“

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