„Fortschritt wagen“ – grüne Ampel für Solarstrom?

Die Ampelkoalition hat sich auf ein Regierungsprogramm bis 2025 geeinigt. Auf die Umsetzung der Pläne für die flächendeckende Solarenergieversorgung darf man gespannt sein.

Die Ampelkoalition hat ihren Zeitplan eingehalten und so können wir damit rechnen, dass der neue SPD-Kanzler Olaf Scholz sein Amt gleich nach Nikolaus in der Woche vom 6. Dezember antritt. Am 24. November veröffentlichten SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bereits ihren Koalitionsvertrag mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“.

In dem 178-seitigen Papier sind 40 Seiten explizit dem „Klimaschutz in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ gewidmet. Wie bereits im Sondierungspapier der Koalitionäre ist dort explizit vom Ausbau der Solarenergie und von Bürokratieabbau die Rede:

„Den dezentralen Ausbau der Erneuerbaren Energien wollen wir stärken. […] Alle geeigneten Dachflächen sollen künftig für die Solarenergie genutzt werden. Bei gewerblichen Neubauten soll dies verpflichtend, bei privaten Neubauten soll es die Regel werden. Bürokratische Hürden werden wir abbauen und Wege eröffnen, um private Bauherren finanziell und administrativ nicht zu überfordern. Wir sehen darin auch ein Konjunkturprogramm für Mittelstand und Handwerk. Unser Ziel für den Ausbau der Photovoltaik (PV) sind ca. 200 GW bis 2030.“ Koalitionsvertrag, S. 56-57

Die Wahlprogramme der neuen Ampelkoalition

Auch der Anspruch, die Energiewende auf eine breite gesellschaftliche Basis zu stellen, wird deutlich. Kommunen sollen von Windenergie- und Freiflächen-Solaranlagen „angemessen profitieren können“, Bürger-Energie soll „mehr Akzeptanz“ für die große Transformation schaffen, Mieterstrom- und Quartierskonzepte sollen gefördert und Steuer-, Abgaben und Umlagesysteme novelliert werden (S.58).

Wichtige Stellschrauben, aber Skepsis bleibt

Das sind erstmal tolle Neuigkeiten für alle, die daran denken, künftig mehr auf Sonnenenergie zu setzen. Denn bisher zieht diese Entscheidung eine Menge Papierkram nach sich – davon können auch die Beteiligten vom Realexperiment Dein BalkonNetz ein Lied singen. Besonders hinderlich sind dabei rechtliche Rahmenbedingungen, die verhindern, dass selbst erzeugter Solarstrom direkt mit der von Energieversorgern bezogenen Energie verrechnet werden kann und sich PV-Module am Balkon oder auf dem Dach somit unmittelbar und unbürokratisch positiv auf die private Energierechnung auswirken. Basierend auf den Projekterfahrungen hat das ITAS-KIT gegenüber dem baden-württembergischen Finanzministerium bereits den Abbau bürokratischer Hürden innerhalb eines Reallabors angeregt.

Der Koalitionsvertrag macht indessen Hoffnung, dass die neue Regierung hier sehr bald, vielleicht tatsächlich schon „im ersten Halbjahr 2022 gemeinsam mit Bund, Ländern und Kommunen alle notwendigen Maßnahmen anstoßen“ wird, um Solarenergie möglichst flächendeckend auf die Dächer zu bringen (S. 57). Entsprechend positiv fallen auch die Reaktionen von Verbänden im Umwelt- und Erneuerbare Energien-Sektor aus. So begrüßt der Verein Eurosolar „das klare Bekenntnis der Koalitionsparteien“ zum dezentralen Ausbau von Erneuerbarer Energien und Bürgerenergie, nimmt die Koalitionäre aber auch in die Pflicht, die angekündigten Quartierskonzepte und den Bürokratieabbau für ‚Prosumer‘ nun auch entschlossen voranzubringen. Auch der Solarenergie-Förderverein Deutschland hebt positiv hervor, dass „Vereinfachungen beim Netzanschluss und die Anpassung der Vergütungssätze große Hebelwirkungen entfalten“ können. Bemängelt wird allerdings, dass das Ausbauziel von 200 GW bis 2030 „deutlich zu kurz gegriffen“ sei und „vieles im Ungefähren“ bleibt (PV-Magazin, 25.11.2021).

Technokratisch reicht nicht, wir brauchen sozial-ökologisch divers

Im Ungefähren bleibt auch, wie die angestrebte tiefgreifende sozial-ökologische Transformation bei allen ankommen soll. Anders gesagt: Wie eng verzahnt sind die 40 Seiten „Klimaschutz in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ mit übrigen Teilen des Koalitionsvertrags, in denen von Digitalisierung und Innovation, einer modernen Demokratie und Arbeitswelt, von Gleichstellung und Vielfalt und Bildung die Rede ist.

Wenn die Gebäudehülle zum Kraftwerk wird (c) Schulte-Römer

Unsere Projekterfahrungen am ITAS-KIT und im Rahmen von Seeds for SEETs zeigen, dass hier große Potenziale liegen. Denn eine Sache ist es, politische und finanzielle Anreize zu setzen, Technik bereitzustellen und bürokratische Hürden abzubauen, um künftig Gebäudehüllen in Kraftwerke zu verwandeln, wie es SPD und Grüne schon in ihren Wahlprogrammen forderten. Doch für eine energiepolitische Kehrtwende ist das noch nicht genug. Zum Beispiel wird der Ausbau von Solarenergie in Deutschland nur dann erfolgreich als Konjunkturprogramm funktionieren, wenn Handwerk und Mittelstand auch die entsprechenden Fachkräfte finden oder ausbilden können. Im Klimaschutz Reallabor KARLA setzt sich ein KIT-Team darum schon jetzt dafür ein, PV-Anlageninstallation als Berufsfeld bekannter und für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen attraktiver zu machen. Ziel ist es u.a., künftig mehr Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund für den Job „Solarteur:in“ zu gewinnen.

Nicht zuletzt setzen wir im Projekt Dein BalkonNetz erste Signale, die zeigen, dass PV-Module auch im Kleinen auf Karlsruher Balkons Wurzeln und Blüten schlagen können. Derweil fanden Forscher:innen am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung heraus, dass neue Solarzellen-Projekte besonders im Umfeld bereits existierender Solarzellen gedeihen. Wir sind gespannt, vielleicht erweist sich der Frühling 2022 unter der Führung der neuen Ampel-Regierung als eine besonders fruchtbare Zeit für eine sozial-ökologische Solarenergiewende.

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